Die dichte Anordnung der Figuren tritt oft auch in den rezenten Marmortäfelchen auf. Es sind zumeist Menschenansammlungen in öffentlichen Räumen, Badestrände mit Gedränge, überfüllte Rave-Parties und sich durch die Museen schiebende Ausstellungsbesucher. Entscheidende Merkmale in den Museums-Bildern ist eine Überschneidung des Zeitlichen und ein Realitäten-Mix. Alltag trifft auf Kunst, das Heute auf Historie. Alles ist aus einem Material geformt, ob die Nike von Samothrake oder ein Tourist mit kurzer Hose, Bananentasche und Ruderleiberl. Der Stein bleibt ungefasst, ehern, unterscheidet nicht in Farbe und Stofflichkeit. Banales scheint überhöht zu werden; die Kunstwerke ihrerseits werden auf eine Ebene mit dem Alltäglichen gestellt. So erscheint ein schlafender Hermaphrodit im Ambiente der Ausstellungs-Touristen wie ein Badender auf seiner Luftmatratze. Tanzende in der Disco werden zu ringenden Kentauren und Halbgöttern. Der Künstler nimmt sich aus der Masse heraus und beobachtet die Besucher beim Betrachten – es sind Reliefs des Blicks. Man denke hierbei an Thomas Struths kolossale Museumsfotografien mit ähnlicher Strategie. Technisch zeugen die Marmortäfelchen von großer Subtilität und feinen Graduierungen. Das Faktische des Materials löst sich zugunsten einer optischen Bildtiefe auf. Ein piktoriales Raumgefüge entsteht. Der Stein wird weich und malerisch. Niedertscheider presst das Relief – Rilievo Schiacciato – wie Donatello beim Drachenkampf des Hl. Georg für die gleichnamige Heiligenfigur für das Skulpturenprojekt an den Hauswänden von Or San Michele in Florenz, als Geburtsort der Skulptur der Neuzeit. Desiderio da Settignano und Michelangelo verfeinerten in Folge diese Relieftechnik. Sechs Jahrhunderte später überführt Niedertscheider das Quattrocento-Flachrelief in eine aktuelle Bildform: Rilievo Schiacciato reloaded!
Text: Mag. Florian Steininger